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Don Quixote XVI. Der Kampf mit dem Spiegelritter

Als die beiden Helden das gegenüberliegende Ufer des Flusses Ebro wieder erreicht hatten, wo Rosinante und der Esel festgebunden waren, gab es ein freudiges Wiedersehn. Sie setzten sich unter einen Korkbaum, aßen und tranken und waren trotz ihrer nassen Kleider guten Mutes. Doch als sie sich hinterher zum Schlafen legen wollten, wurden sie aufgestört. Zwei Männer zu Pferde ritten auf ihr Lager zu. Don Quixote zweifelte keinen Augenblick daran, fahrende Ritter vor sich zu sehen. - "Sancho, Sancho!" flüsterte Don Quixote, "Ein Abenteuer ist nahe." - "Der Himmel möge geben, daß es ein gutes sei," antwortete der Knappe, indem er sich gähnend die Augen rieb. - Ein fremder Ritter in klirrender und blitzender Rüstung sprang von seinem Pferde; sein Knappe aber, der eine gewaltig große und blaue Nase hatte, blieb auf seinem Esel sitzen. - "Seid Ihr von der Zahl der Vergnügten oder von der Zahl der Mißmutigen?" rief der goldschillernde Ritter herüber. - "Von den Mißmutigen!" erwiderte Don Quixote. "Kommt heran, wenn Ihr ein ganzer Mann seid." Bald saßen alle vier mit verschränkten Beinen unter der Korkeiche und erzählten von blutigen Abenteuern und von grausigen Schicksalen tapferer Ritter. Der Waldknappe mit der gewaltigen und blauen Nase flößte Sancho Pansa heimlichen Schrecken ein; auch gefiel ihm die Rüstung von dessen Herrn nicht, deren Gold wie gewöhnliche Bronze stumpf und billig aussah; dazu entdeckte er viele kleine Spiegel, die an allen Ecken und Kanten dieser sonderbaren Rüstung angebracht waren. Bild 100. Der Spiegelritter und sein Knappe Er wollte seinen Herrn durch einen Wink darauf aufmerksam machen; aber Don Quixote hörte mit angespanntem Interesse den außergewöhnlichen Erzählungen des fremden Ritters zu. - "Ich habe ganz Spanien durchstreift und alle fahrenden Ritter, selbst die stärksten und edelsten, zum Zweikampf herausgefordert und sie besiegt", erzählte der bronze- und spiegelgeharnischte Ritter mit bramarbasierendem Pathos. "Ich habe sogar, worauf ich am meisten stolz bin," fuhr der großsprecherische Recke fort, "einen Kampf mit dem berühmten Ritter Don Quixote von la Mancha siegreich bestanden und habe ihm das Geständnis abgerungen, daß meine Gebieterin schöner sei, als seine Dulcinea von Toboso!" Da sprang Don Quixote in heftigem Zorne auf und rief: "Ihr lügt, nichtswürdige Kreatur! Denn wisset, ich selbst bin Don Quixote von la Mancha! Kommt heran zum Kampfe, wenn Ihr Mut dazu habt!" - "Es ist schon zu dunkel, um zu kämpfen;" entgegnete ganz kaltblütig der goldene Waldritter, "im Dunkeln kämpfen nur Räuber und Spitzbuben!" - "Steh, feiger Hund!" Don Quixote drang mit dem Schwert auf den mit Spiegeln übersäten Ritter ein. Gleichzeitig war Sancho Pansa aufgesprungen und schlug seinem unangenehmen Berufsbruder mit einem gewaltigen Faustschlag auf die verhaßte blaue Hakennase. Zu seinem größten Erstaunen fiel die Nase aus dem Gesicht des Waldknappen, es war eine schlecht fabrizierte Pappnase. Schnell hob Sancho sie vom Boden auf und lief zu seinem Herrn, der den glitzernden Strauchritter mit einem Schwertstreich zu Boden geschlagen hatte und schrie: "Seht hier diese Nase, gnädiger Herr! Wir haben mit elenden Betrügern zu tun!" Don Quixote schnaubte vor Wut. Die Rüstung der am Boden liegenden vergoldeten Heldengestalt war auch aus Pappe, und der darin steckte, war kein anderer als Sanson Carrasco, der Schuster und Nachbar Sancho Pansas aus dem gemeinsamen Heimatdorfe.


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