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Abrakadabra

Jussuf Abdul Ben Ulemma, kurz Jussuf genannt, war ein Lastträger in Bagdad, nährte sich schlecht und recht, lebte in Allah und eiferte den Propheten nach. Nur eine unangenehme Eigenschaft hatte der alte Jussuf; er spionierte gern, faßte alles an, guckte überall hinein und hatte hin und wieder Kleinigkeiten in der Tasche, die - mit Fug und Recht behauptet - nicht sein Eigentum waren. Doch war er nicht "der große Dieb von Bagdad"; er war nur ein ganz kleiner. Einst entdeckte er auf dem Hofe eines verstorbenen Kalifen eine eiserne Kassette und fand wie durch Zufall den Schieberiegel. - "Oh, Unglück über alle Kalifen!" - die Kassette war leer. Doch plötzlich warf er sich zur Erde und beschwor alle Propheten. - Ein Geist stieg aus der Leere, der befreit aufatmete: "Du hast mich erlöst aus dem Banne dieses Eisens; ich schenke Dir dafür das Zauberwort "Abrakadabra" -!" Der Geist sprach's und verschwand. Der Geist aus der KasetteJussuf sprang in einen leeren Ölkrug, versuchte das Zauberwort und flog seinem Wunsche gemäß eiligen Flugs davon über alle Dächer Bagdads hinweg nach Hause. Hier angekommen bekam er erst mal von seiner Alten, wegen seines langen Ausbleibens, eine tüchtige Tracht Prügel. Doch gleich hinterher zauberte er "Abrakadabra" und ein fabelhaftes Frühstück stand auf dem Tisch mit allem Drum und Dran. - "So ist das Leben schön!" schwelgte der Lastträger laut. Leise flüsterte er nur noch hinzu: "Wenn nur meine Alte nicht wär!" Er bekam trotz vieler Scheffel Gold, die er herbeizauberte, morgens, mittags und abends Prügel. Da entschloß sich Jussuf ein Doppelleben zu führen und zwar aus zwei Gründen; erstens - sein plötzlicher Reichtum war verdächtig; er war bekannt als Dieb und Langfinger; zweitens - seine Alte vergällte ihm das Dasein. Ohne daß diese es wußte, flog er in seinem Ölkrug tagsüber nach Damaskus, zauberte dort ein Haus aus Gold, in dem die Diamanten und Edelsteine in Haufen lagen und lebte allhier, wie ein Scheich im siebenten Himmel. Bild 120. Der Flug im KrugHier in Damaskus "der reiche Jussuf" - dort in Bagdad "der arme Jussuf". Hier unumschränkter Herrscher seiner Wünsche - dort Pantoffelheld. Das war ein Doppelleben nach allen Regeln der Kunst, und seine Seele ward ausgeglichen. Hier Leckereien und Liebkosungen - dort die nötige Tracht Prügel. Nur eine winzige Kleinigkeit störte: Er hing wie ein Kind an einigen Armseligkeiten, kleinen Erinnerungen und Sächelchen, wie ein jeder Mensch sie besitzt; - drum wünschte er sich alle Armseligkeiten, die er in Bagdad besaß, auch noch für seinen goldenen Palast in Damaskus. - "Abrakadabra", alles, was ich in Bagdad besitze, doppelt! - bitte! Jussuf schmunzelte. Er lag gerade auf einem seidenen Diwan, ließ sich von schönen Odalisken Kühlung zufächeln und aß die dritte Portion Haschisch, als die gewünschten Sachen ankamen: - die doppelte Auflage aus Bagdad. - - -

"Allmächtiger Allah!!! Oh, neunmalgeschwänzte Katze!!! Was ist das???" Als letzte Verdoppelung kam seine Frau, seine Alte, wie eine Furie hereingestürzt.

Doppelt!

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